Chris Cornell: Handgemacht und echt

Konzertkritik: Chris Cornell, Baloise Session
Bildquelle: 
Dominik Plüss, http://www.baloisesession.ch

«Handmade» war das Motto des Sonntagabends an der Baloise Session (früher: AVO Session), an welchem die US-Singer-Songwriterin Aimee Mann und der Grunge-Altmeister Chris Cornell das Basler Publikum beehrten. Weitab des zurzeit in den Schlagzeilen präsenten US-Musikzirkus rund um Miley Cyrus und Konsorten zeigten hier zwei Künstler auf unspektakuläre und eben «handgemachte» Weise, dass gehaltvolle Musik meist fernab des Glamours stattfindet.

 

Gemeinsam mit ihrem Bassisten Paul Bryan und ihrem Pianisten Jamie Edwards bezauberte Aimee Mann das Publikum mit ihren sanften, melodiösen Pop-Songs. Die entspannte Sängerin schien sich in Basel wohlzufühlen, ging in ihrer Musik auf und erzählte auch ab und an kleinere Anekdoten aus ihrem Musikerdasein. Und obwohl wahrscheinlich der grösste Teil der Zuhörerschaft wegen des zweiten Acts des Abends gekommen war, erreichte sie mühelos auch deren Ohren und erntete am Schluss ihres Sets einen warmen, begeisterten Applaus.

 

Ehepaar verlässt fluchtartig den Saal

 

Die Session ist bekannt für ihre gediegene Atmosphäre mit den kleinen Tischchen im gestuhlten Saal. Auf den ersten Blick kein Ort für überbordenden Rock also, geschweige denn für dreckigen Grunge. Aber nichts ist nur genau so wie es scheint. Denn das wiederum ist das schöne an der Session: Trotz (oder wegen?) ihrer stilvollen Aufmachung haben auch rockige Klänge Platz. Und so betrat Grunge-Altmeister Chris Cornell die Bühne, in einer dicken Strickjacke, bewaffnet mit seiner Gitarre, «um ein paar Songs zu spielen», wie er selbst sagte. Und er hatte uns alle beim ersten Ton. Also fast alle, das ältere Ehepaar am Nebentisch verliess nach den ersten paar Klängen fluchtartig den Saal.

 

Ein entspannter, spielfreudiger, gut gelaunter Chris Cornell liess seine Karriere Revue passieren: Ob Material von Soundgarden, Audioslave, von seinen Soloalben, oder auch von Temple of The Dog, Cornell wühlte in jeder Kiste und präsentiere die Songs mit seiner aussergewöhnlichen Stimme und viel Gefühl. Handgemacht eben, hemdsärmlig, in der Musik verloren, als wären wir in seinem Wohnzimmer und hörten ihm andächtig beim Spielen zu. Und natürlich flippen wir gepflegt aus, als er die ersten Töne vom Übersong «Black Hole Sun» anspielt.

 

Antiheld der Grunge-Szene hat etwas Ruhe gefunden

 

So viel Kritik Chris Cornell für das Solo-Album «Scream», seinen Ausflug in kommerziellere Sphären mit Produzent Timbaland, einstecken musste, so muss man ihm doch lassen: Stillgestanden ist er nie, er hat immer weitergemacht und neue Wege ausprobiert. Auf Solopfaden hat er mal Grossartiges, mal weniger Erquickendes abgeliefert, mit seinen Bands hat er Klassiker geschaffen, Fans erfreut und auch enttäuscht. So getrieben er all die Jahre schien, so auf der Suche, auf der sie alle waren, die Antihelden der Grunge-Szene – die einen irgendwann erfolgreich, die anderen bezahlten ihren dunklen Weg mit dem Tod –, so scheint er nun ein wenig Ruhe gefunden zu haben. Jedenfalls an diesem einen Sonntagabend in Basel.

 

Es war eine grossartige Performance einer grossen Stimme des Rockzirkus. So unspektakulär und gerade deshalb so packend, ein wahrlich handgemachter Abend an der Baloise Session in Basel. Und nicht nur die Musik und das Ambiente waren toll. Auch hielten sich die zum Filmen und Fotografieren hochgestreckten Smartphones in Grenzen. Eine schöne Erfahrung zu sehen, dass Zuhörer den Künstler noch würdigen und sich seiner Musik hingeben und nicht ein ganzes Konzert nur durch den Handybildschirm verfolgen, um zu Hause die Trophäen zu zeigen.

Claudia Senn / So, 17. Nov 2013